Angenommen-Sein ist aus meiner Sicht das größte Geschenk des Lebens. Da ich es liebe Herzens-Geschenke zu machen, schreibe ich in diesem Herbst und Winter Du-bist-wunderbar-Briefe, in denen ich Menschen, so wie sie sind, ganz annehme.
Lieber ehemaliger Schüler,
immer, wenn wir uns sehen, strahlst du mich an. Du scheinst lachend durch die Welt zu gehen. Ich habe oft erlebt, wie du anderen Menschen ein Lächeln ins Gesicht zauberst. Wenn du jedoch aus deiner Schulzeit erzählst, wirst du ernst. Du berichtest von dem Lehrer, der Euch Schüler*innen beschimpfte. Du beschreibst, wie ein anderer Lehrer während eines privaten Treffens am Nachmittag die Klassenarbeiten des Vortages laut vorlas und die Namen der Verfasser*innen nannte. Du erzähltest mir, wie peinlich es dir war, dass sich mehrere Anwesende über deine Arbeit lustig machten. Du wusstest nicht, wie du reagieren solltest. Am liebsten wärst du einfach verschwunden. Dein Repertoire solcher Erlebnisse scheint unerschöpflich.
Diese Erfahrungen prägen dich noch heute. Ich bin mir sicher, dass es während deiner Schulzeit auch schöne Ereignisse gegeben hat, jedoch sind sie verschüttet. Im Moment erinnerst du dich nicht an sie.
Die Gefühle aus dieser Zeit kommen immer dann hoch, wenn du „liefern“ musst. Wenn du vor anderen sprechen musst. Wenn der Dozent dir eine Frage vor anderen stellt. Auf einmal ist dein Kopf wie leer gefegt und du kannst nichts sagen. Und das, obwohl du die Antwort eigentlich weißt.
Du berichtest von deiner abgebrochenen Ausbildung, weil du so große Angst vor der mündlichen Abschlussprüfung hattest, dass du lieber gar nicht erst hingegangen bist. Jetzt möchtest du einen neuen Versuch starten.
Die Sehnsucht, in deinem Traumberuf zu arbeiten ist so groß, dass du dich deinen Ängsten stellst. Das finde ich ganz wunderbar. Ich gratuliere dir zu dieser Entscheidung.
Ich finde es unglaublich, was du erlebt hast. Es ist nicht in Ordnung, wenn dich jemand beschimpft oder erniedrigt. Da hast du mein absolutes Mitgefühl. Das Gute daran ist: Es ist vorbei. Das war einmal. J Deine Vergangenheit kannst du nicht ändern. Was du jedoch ändern kannst, ist deine Haltung zu diesen Ereignissen. Du hast die Wahl – möchtest du das Opfer deiner Vergangenheit sein oder der Gestalter deiner Gegenwart und Zukunft?
Ich wünsche dir, dass du die Vergangenheit hinter dir lassen kannst. Ich wünsche dir, dass du deinen Lehrer*innen verzeihen kannst. Ich wünsche dir, dass du dir selbst verzeihen kannst. Ich wünsche dir, dass du dir selbst und deinen Lehrer*innen wirklich verzeihst und Frieden mit ihnen schließt.
Du bist so ein wunderbarer Mensch. Ich wünsche dir, dass du die Erfahrungen deiner Vergangenheit ehrst und sie für dich nutzt. Erkenne an, was du seit deiner Schulzeit alles gemacht und geschafft hast. Erkenne an, was für ein wunderbarer Mensch du bist.
Bist du dir eigentlich bewusst, wie sehr die Menschen strahlen, wenn sie dich sehen? Bist du dir bewusst, wie positiv sich allein schon deine Anwesenheit auf das Wohnbefinden der anderen auswirkt? Hast du schon bemerkt, dass das, was du zu sagen hast, angehört und ernst genommen wird?
Ist dir eigentlich bewusst, wie sehr du Menschen helfen kannst, wenn du deiner Intuition folgst? Ich erinnere mich an eine Situation in der Praxis, in der du scheinbar unvermittelt von deinem Konzept abgewichen bist. Du bist deiner Intuition gefolgt und hast das Ziel, das du dir vorgenommen hast, erreicht. Nicht so, wie es in dem Lehrbuch steht. Sondern so, wie es für dieses Kind das Richtige war. Darum geht es. Natürlich ist es wichtig, über Fachwissen zu verfügen. Doch genauso wichtig ist es, ein Gespür für deinen Kommunikationspartner zu entwickeln – und entsprechend zu agieren.
Ich wünsche dir, dass du all dies bemerkst, spürst und genießt. Ich wünsche dir, dass du stets deiner Intuition vertraust und entsprechend wirkst. Du bist ein Geschenk für jeden Menschen, dem du begegnest.
Ich bin dankbar, dir begegnet zu sein.
Herzlichst
Birte