Hand aufs Herz: Wenn du das Wort „Macht“ hörst, was passiert in dir? Ein leichtes Ziehen im Bauch? Ein inneres „Oh je“? Vielleicht denkst du an Kontrolle, an Missbrauch, an alles, was Macht so unsympathisch macht.
Weißt du was? Ich verstehe dich. Macht hat einen schlechten Ruf. Oft genug nicht zu Unrecht.
Hier kommt das Pendant: Macht ist nicht nur das große, dunkle Monster im Raum. Sie ist auch die unsichtbare Kraft, die Orientierung gibt, Sicherheit schafft und Entwicklung ermöglicht.
Die Frage ist: Wie nutzen wir unsere Macht so, dass sie Menschen stärkt und sie nicht klein macht?
Ich sehe dich, liebe Fachkraft, in deinem Zwiespalt: Du willst begleiten, nicht beherrschen. Gleichzeitig sehe ich die Menschen, die unter unreflektierter Machtausübung leiden. Genau deshalb lohnt es sich, hinzuschauen.
Was ist Macht eigentlich?
Macht bedeutet Einfluss – die Fähigkeit, etwas zu bewirken.
Das heißt: Macht ist weder gut noch schlecht. Sie ist neutral. Ihre Wirkung hängt von deiner Haltung ab.
In der Eingliederungshilfe ist Macht unvermeidbar. Wir treffen Entscheidungen, gestalten Abläufe, setzen Grenzen. All das erfordert Einfluss.
Aber wie wir diesen Einfluss nutzen, macht den Unterschied.
Es gibt verschiedene Formen von Macht:
- Formelle Macht: durch Position, Regeln, Hierarchie.
- Informelle Macht: durch Persönlichkeit, Wissen, Beziehungen.
Und nein, Macht ist nicht nur eine Frage von Status. Sie ist ein Beziehungsphänomen. Genau darin liegt ihre Komplexität.
Humorvoll gesagt: Macht ist wie Salz. Ohne schmeckt’s fad, zu viel macht’s ungenießbar.
Macht in der Beziehung
Jede pädagogische Beziehung ist von Macht durchzogen. Das beginnt bei scheinbar kleinen Dingen:
Wer bestimmt den Tagesablauf? Wer entscheidet, wann ein Gespräch stattfindet? Wer legt fest, welche Unterstützung „notwendig“ ist?
Oft wirkt Macht unsichtbar. Sie steckt in Erwartungen, Normen und subtilen Botschaften. Ein Blick, ein Tonfall, eine unausgesprochene Regel – all das kann Einfluss nehmen, ohne dass wir es bewusst wahrnehmen.
Diese unsichtbare Macht ist besonders heikel, weil sie schwer zu greifen ist. Sie kann Vertrauen fördern oder zerstören. Sie kann Sicherheit geben oder Abhängigkeit erzeugen.
Der Knackpunkt ist: Macht ist nicht nur eine Frage des Wollens, sondern auch des Wirkens. Selbst wenn du „nur helfen“ willst, übst du Einfluss aus.
Das ist nicht schlimm – solange du es reflektierst.
Verantwortung als Gegengewicht
Macht ohne Verantwortung ist wie Autofahren ohne Bremsen: Es geht vorwärts, aber wehe, du musst anhalten.
Verantwortung heißt: Macht bewusst einsetzen, transparent machen und zum Wohl des anderen nutzen.
Das klingt selbstverständlich, ist aber in der Praxis herausfordernd. Denn Verantwortung bedeutet auch, die eigene Haltung zu prüfen:
- Wofür nutze ich meine Macht?
- Wem dient sie?
- Welche Wirkung hat sie?
Diese Fragen sind unbequem – und genau deshalb notwendig. Sie helfen uns, Macht nicht als Selbstzweck zu verstehen, sondern als Werkzeug für Entwicklung und Teilhabe.
Das braucht Mut. Doch bedenke: Mut ist die Schwester der Professionalität.
Positive Macht – geht das?
Ja, Macht kann positiv wirken. Sie kann Räume öffnen, Sicherheit geben und Selbstbestimmung fördern. Sie kann Menschen stärken, wenn wir sie achtsam gestalten.
Positive Macht zeigt sich zum Beispiel, wenn wir:
- klare Strukturen schaffen, die Orientierung geben,
- Grenzen setzen, die Schutz bieten,
- Entscheidungen transparent machen, um Vertrauen zu fördern.
Das erfordert eine Haltung der Demut: Macht nicht als Privileg, sondern als Verantwortung zu begreifen.
Anders gesagt: Macht ist wie ein Regenschirm. Du kannst damit jemanden schlagen – oder ihn vor dem Regen schützen.
Praxisimpulse für den Alltag
Reflexion ist der Schlüssel – und sie beginnt bei dir. Macht ist nicht nur ein abstraktes Konzept, sondern etwas, das du täglich lebst. Deshalb lohnt es sich, deine eigenen Einflussquellen bewusst wahrzunehmen.
Übung: „Meine Machtquellen“
Nimm dir einen Moment und liste deine Einflussfaktoren auf:
- Position
- Wissen
- Erfahrung
- Beziehung
Überlege: Wie setze ich diese Quellen ein – und mit welcher Wirkung? Bin ich mir ihrer bewusst oder wirken sie eher im Hintergrund? Diese Übung ist wie ein Spiegel: Sie zeigt dir, wo du stehst und wie du wirken möchtest.
Und weil Haltung nicht nur ein Wort ist, sondern eine Praxis, kommt hier ein kleines Training für deinen Alltag:
Haltungstraining:
- Macht wahrnehmen: Wo übe ich Einfluss aus – bewusst oder unbewusst?
- Macht transparent machen: Wie kommuniziere ich Entscheidungen, damit sie nachvollziehbar sind?
- Macht teilen: Wo kann ich Beteiligung ermöglichen, statt allein zu bestimmen?
Diese drei Schritte sind wie ein innerer Kompass. Sie helfen dir, Macht nicht als Last, sondern als Verantwortung zu begreifen – und sie so zu gestalten, dass sie Menschen stärkt.
Macht ist wie Licht: Sie kann blenden oder den Weg erhellen. Entscheidend ist, wie wir sie ausrichten.
In der Eingliederungshilfe haben wir die Chance, Macht so zu gestalten, dass sie Menschen stärkt. Das beginnt bei uns – bei unserer Haltung, unserer Reflexion und unserem Mut, Macht sichtbar zu machen.
Denn Macht ist nicht das Problem. Das Problem ist, wenn wir nicht darüber sprechen. Also: Lass uns reden. Offen, ehrlich und bei aller Schwere mit eine Prise Leichtigkeit.

